Perfektionismus / Heiligungsbewegung / Keswick-Theology

Ich wurde kürzlich auf sehr interessante Vorträge hingewiesen – leider nur in englischer Sprache – die sich mit der Theologie beschäftigen, die die sogenannte „Keswick-Bewegung“ prägte. Es ist anzunehmen, dass die meisten Leser hier noch nie etwas davon gehört haben, aber es kann sehr gut sein, dass so manche Vorstellung, die aus dieser theologischen Richtung stammt, einem vielleicht durchaus schon begegnet ist oder man sogar an solch einer Vorstellung festhält, ohne, dass man es weiß.

Die „Keswick-Bewegung“ ist heutzutage in Deutschland eher unter dem Stichwort „Heiligungsbewegung“ ( wikipedia ) bekannt, zu der man im weitesten Sinne auch in evangelikalen Kreisen bekanntere Personen wie Hudson Taylor oder Georg Müller zählen kann, obschon sie formal nicht direkt der Heiligungsbewegung zuzuordnen sind. Bekanntere Gruppierungen, die dazu zu zählen sind, sind historisch gesehen u.a. die Heilsarmee, ebenso historisch gesehen der Methodismus und was man gemeinhin die „Erweckungsbewegung“ nennt. Nun ist das ein breites Spektrum an Gruppierungen und Personen und somit zeigen sich jeweils individuelle Nuancen, je nachdem, von wem man im Einzelnen spricht. Und das darf nicht alles über einen Kamm geschert werden, aber viele Christen werden mit Gedankengut und Ansätzen, die aus der Heiligungsbewegung stammen, durchaus in Kontakt gekommen und davon beeinflusst sein.

Die Heiligungsbewegung legt, wie ihr Name schon sagt, sehr großen Wert auf die praktische Heiligung im Leben als Christ. Vielleicht sei kurz so viel gesagt: Die Bibel verwendet das Wort „Heiligung“ durchaus in verschiedenen Zusammenhängen.  Zeitweise meint Heiligung das Werk Christi am Kreuz, durch das er die Gläubigen geheiligt hat, was zentral mit der Vergebung ihrer Sünden zusammenhängt. Zeitweise redet die Bibel aber auch von einer gegenwärtigen Heiligung, der die Gläubigen jetzt nachjagen sollen, was mit der Wichtigkeit einer gerechten Art zu Leben im Moment zusammenhängt. Zeitweise redet die Bibel aber auch noch von einer zukünftigen Heiligung, die eines Tages geschehen wird, wenn die Gläubigen bei Gott sein werden.

Die Heiligungsbewegung betont dabei besonders den Aspekt der gegenwärtigen Heiligung im jetzigen Leben, also, die Wichtigkeit einer praktischen Heiligung. Teilweise wird diese Heiligung so dermaßen betont, dass gesagt wird, man könne hier auf dieser Erde sündlos leben. Die prägenden Personen dieser Bewegung wie z.B. Robert Pearshall Smith legten dabei oft auf die Auffassung wert, dass es ein zweites Werk der Gnade brauche, um in diesen Zustand der besonderen Heiligung zu kommen.

Unter einem ersten Werk der Gnade verstand man dabei i.d. Regel, dass jemand zum Glauben an Jesus komme, Jesus also „als seinen RETTER annehme“. Unter dem zweiten Werk der Gnade verstand man dann die „totale Hingabe“, also, dass man Jesus „als seinen HERRN“ annehme, um ihm von nun an von ganzem Herzen und mit ganzer Kraft zu dienen. Es ergab sich so also so etwas wie eine „Zwei-Stufen-Lehre“, wo es dann Christen zweiter und Christen erster Klasse gab. Diese „Zwei-Stufen-Lehre“ findet sich dann auch in der Pfingstbewegung wieder, die das „Gläubig werden“ klar unterscheidet von einer meist später erfolgenden „Geistestaufe“, durch die man besonders für das Leben und den Dienst als Gläubiger befähigt wird. Das sei aber nur angerissen. Aber: Nicht umsonst gab es in der beginnenden Pfingstbewegung die „Lehre vom reinen Herzen“, die besagte, dass man durch die „Geistestaufe“ ein reines Herz empfangen würde, das einen zu einem besonders heiligen Leben befähige.

Die englischen Vorträge, auf die ich in diesem Zusammenhang nun verweisen möchte, wurden von Andy Naselli gehalten, der in einem ersten Vortrag sich mit der Geschichte der „Keswick-Bewegung“ befasst und sich in zwei weiteren Vorträgen mit der Theologie der „Keswick-Bewegung“ auseinandersetzt. Sowohl Geschichte als auch Theologie sind wichtig und dadurch, dass er sich lange damit beschäftigt hat, gibt er sehr interessante Einblicke in das Wesen dieser Denkweise und nicht nur das, sondern er zeigt auch auf, wie sich seiner Auffassung nach die Dinge von der Bibel her wirklich darstellen. Ich würde ihm da jetzt nicht in jedem einzelnen Detail zustimmen, aber ich halte seine Ausführungen für durchaus wertvoll, weil sie auch sehr ausgewogen sind und keine reißerische Kritik darstellen.

Die Vorträge finden sich hier:

http://andynaselli.com/keswick-theology

A Historical and Theological Survey of the Early Keswick Movement (1:10:32)

(MP3)
A Theological Analysis of the Early Keswick Movement – Part 1 (57:20)

(MP3)
A Theological Analysis of the Early Keswick Movement – Part 2 (with Q & A) (49:24)

(MP3)

Ein Handout als .pdf findet sich hier:

http://dbts.edu/pdf/rls/NaselliHandout.pdf

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf einen sehr interessanten ( deutschen!!! ) Artikel eingehen, den ich im distomos-Blog zum selben Thema gefunden habe, der zeigt, wie solche Vorstellungen die Leben Gläubiger beeinflussen können. Geschrieben wurde der Artikel von Donald A. Carson:

http://distomos.blogspot.com/2010/05/perfektionismen.html

Speziell für den Blog hier sind diese Gedankengänge auch sehr wichtig, weil bspw. Paul Washer sehr wohl von reformierter Theologie geprägt ist, aber auch vereinzelt Elemente in seiner Theologie zu finden sind, die ich denke, eher der Heiligungsbewegung zuzuordnen sind. Und die würde ich nicht immer so unterschreiben. Deswegen werden manche Dinge von mir auch nicht übersetzt.

Die Vorträge hatte ich ursprünglich hier gefunden:

http://truth.gyger.at/2011/03/3-ebenen-von-irrlehre-andi-naseli.html